Eine Reise im ersten Schweizer Hochgeschwindigkeitszug

Grosses Erbe

GotthardzĂŒge sind seit Jahrzehnten die legendĂ€rsten Fahrzeuge der SBB. Zur Landesausstellung 1939 prĂ€sentierten die SBB mit der Ae 8/14 die zu ihrer Zeit stĂ€rkste Lokomotive der Welt. Stattliche 34 Meter lang und 235 Tonnen schwer machten die "Landilok" auch in meinem Eisenbahnquartett zu einem echten Trumpf. Von der monströsen Lok wurden jedoch nur gerade 3 StĂŒck hergestellt.

Deutlich erfolgreicher war die Re 6/6, welche sich auch nach knapp 50 Jahren im Dienst nicht zu schade ist, GĂŒterzĂŒge durch den 57 Kilometer langen Gotthard-Basistunnel zu ziehen.
Nicht so lange unterwegs blieben die 1961 gebauten LuxuszĂŒge des TEE - einem bis heute unerreichten QualitĂ€tsfahrzeug, ausschliesslich mit 1. Klasse Wagen, Speisewagen und der technischen AusrĂŒstung um unter 4 verschiedenen Stromsystemen zu verkehren.

Der Trans Europe Express verkehrte zu seiner BlĂŒtezeit tĂ€glich zwischen Basel und Genua und machte dabei keinen Halt an der Grenze. Grenzkontrolle und die Umstellung aufs italienische System fand im fahrenden Zustand statt.

Geringer Fortschritt

Was nach keiner grossen Errungenschaft klingt, besonders in einem vernetzten Europa mit der EU und Schengen, ist heute alles andere als eine SelbstverstÀndlichkeit.

Seit dem Niedergang der unrĂŒhmlichen Cisalpino-NeigezĂŒge hĂ€lt wieder jeder Zug in der Kleinstadt Chiasso fĂŒr mindestens 7 Minuten und auch erst seit kurzer Zeit werden ab ZĂŒrich wieder andere Ziele in Italien direkt mit dem Zug erreicht als Milano. So wurde beispielsweise im Dezember 2020 die Direktverbindung nach Genua reaktiviert.

Dass noch Luft nach oben ist, zeigt bereits die Fahrdauer. Die Reisezeit mit dem Direktzug dauert im Jahr 2021 5 Stunden und 16 Minuten. Das sind im Vergleich zum Jahr 1979, als der TEE noch am Chileli von Wassen vorbei fuhr, in Milano Centrale die Richtung wechselte und jeder Pass der Reisenden beim GrenzĂŒbertritt kontrolliert werden musste dann doch eher bescheidene 17 Minuten weniger Reisezeit. Dennoch war die direkte Verbindung und die Stadt Genua Grund genug, sich ein Ticket zu kaufen.

Der Komfort stimmt

Die neuen GotthardzĂŒge "Giruno" kommen im klassischen SBB-Standarddesign daher. Weisse Farbe, Rote TĂŒren und Schwarze Sitze, wie man sie von Romanshorn bis Genf antreffen kann. Neben der schnittigen Form ist das grosse Kantonswappen, welches im Speisewagen hĂ€ngt, das einzig Besondere, was einem in diesem Zug erwartet.

Die Sitze und der Fahrkomfort an sich ist jedoch durchaus ĂŒberzeugend. Der Zug hat kĂŒrzere Wagen als ĂŒblich, weshalb die Raumaufteilung weniger erschlagend wirkt als sonst. Zudem sind die Sitze im Vergleich zu anderen ZĂŒgen sehr bequem und das Internet-Portal mit einer eigenen Videothek sorgt fĂŒr gute Unterhaltung wĂ€hrend der Fahrt. Ebenfalls nicht mehr selbstverstĂ€ndlich ist die Tatsache, dass alle Sitze an einem Fenster sind und man nicht wie beispielsweise im deutschen ICE die Sitze teilweise einfach planlos an eine Wand hinstellt.

So kann man auch nicht verspÀtet sein

AusbaufĂ€hig ist jedoch der Fahrplan. Schon kurz nach ZĂŒrich musste der Internationale Fernverkehr auf der eingleisigen Strecke ZĂŒrich-Zug auf eine entgegenkommende S-Bahn warten, bis die Weiterfahrt möglich war.

Wirklich schnell vorwĂ€rts ging es nur im Gotthardtunnel, wo der Giruno zwar nicht die möglichen 250 km/h erreichte, aber immerhin deutlich zĂŒgiger vorankam, als die vierrĂ€drige Alternative auf der A2.

Wegen schlechter VerfĂŒgbarkeit von freien Trassen verbummelt der Zug zwischen Lugano und dem MailĂ€nder Vorbahnhof Rogoredo sicherlich eine Stunde Fahrzeit. In der momentanen Zeit, wo jeder Zug von ZĂŒrich nach Milano eine ziemlich lachhafte Prozedur von Coronakontrollen am Bahnhof Como durchmachen muss, wĂ€hrend die internationale-S-Bahn auf dem Nachbargleis den Zug ohne Kontrollen ĂŒberholt, ist das aber gar nicht so ein Problem.

Mit 30 Minuten VerspĂ€tung ging es in Como weiter, nur 4 Minuten verspĂ€tet erreichten wir Milano. Dieselbe VerspĂ€tung blieb uns bis Genua. Trotz der angenehmen Reise im Zug wĂ€re eine kĂŒrzere Reisezeit wĂŒnschenswert. Sonst könnte man ja auch wieder am Chileli von Wassen vorbeifahren.