Eine Reise die solange dauert, wie ein Flug nach Australien. Aber auch eine Reise, die für Europa einmalig ist.

Nach schlafen ist einem noch nicht zumute

Kurz vor 13:00 scheint eine Tageszeit sein, in der man sehr viele Aktivitäten machen kann, ohne fragende Blicke zu ernten. Vom etwas verspäteten Frühstück am Sonntagmorgen über Fussballspielen bis zum Mittagsschlaf ist ziemlich alles innerhalb der gesellschaftlichen Normen. Doch um diese Zeit bereits in einen Nachtzug einzusteigen wirkt doch etwas verwunderlich.

So präsentiert sich der Bahnhof von Siracusa nach der Ankunft des Nachtzuges aus Rom

Am Gleis 1 des Bahnhofes der Sizilianischen Hafenstadt Siracusa steht aber tatsächlich ein mit Mond und Betten tapezierter Zug von 4 Wagen, in welchem wir für je 60€ mitfahren dürfen. Das Ziel des Zuges ist Milano Centrale. Vor den Rädern liegen nicht nur beachtliche 1400 Kilometer Strecke (Das ist immerhin so weit wie von der Schweiz bis nach Weissrussland) sondern auch eine Fahrzeit von 20 Stunden und 45 Minuten. Verspätungen sind noch nicht einberechnet.

Allein die Fahrt auf Sizilien dauert drei Stunden

Auch wenn wir den Schlafwagen buchten, waren wir nicht fast eine ganze Erdumdrehung an unser Bett gefesselt. In unserem Abteil warteten vorerst drei Sitze auf uns, während die Betten noch an die Wand hochgeklappt waren. Die Begrüssung von Trenitalia beschränkte sich trotz des langen Besuches in ihrem rollenden Hotel auf ein simples «Buongiorno». Das Zugpersonal beschäftigte sich auf dem ersten dreistündigen Streckenabschnitt auf Sizilien auch mehr mit internen Kartenspielen als der Bewirtschaftung der Fahrgäste.

Auf der ersten Etappe blieb uns genug Zeit, um unsere Ferien in Sizilien noch einmal zu reflektieren, eine Rangliste über die besten Restaurants der Reise zu erstellen und dem Ätna aus dem Zugfenster bis bald zu sagen. Nach ganzen drei Stunden Fahrzeit mit ständigem Blick auf das Mittelmeer erreichten wir Messina, das Ausgangstor Siziliens.

Der goldene Abschied aus Sizilien

Das Sizilianische Zugspersonal, welches zahlenmässig der Kundschaft knapp überlegen war, verliess hier den Zug. Nun kamen die hauseigenen Matrosen der Italienischen Staatsbahn zum Zug, welchen den Zug in nicht nur für sizilianische Verhältnisse erstaunlicher Effizienz zuerst mit einem Nachtzug aus Palermo zusammenhängten und danach auf drei verschiedene Gleise auf der Fähre ans Festland parkierten.

Dank des Rangieraufwands passt der rund 200 Meter lange Nachtzug auf eine deutlich kürzere Fähre. Dabei werden die Wagen von einer Diesellok auf die Fähre geschoben, ein Teil des Zuges wird abgekoppelt um die nächsten drei Wagen nach einer kurzen Rückwärtsfahrt auf das nächste Gleis zu stellen. Dabei muss stets ein zusätzlicher, abgeschlossener Personenwagen zwischen Nachtzug und Fähre sein, da ansonsten die Rangierlok die Tragfähigkeit der Fähre überstiegen würde.

Nach vollendeter Arbeit können sich sowohl Passagiere, als auch das neue Zugpersonal auf dem Oberdeck der Fähre entweder die Beine vertreten, ein letztes Arancina (Das sind die unglaublich leckeren, gefüllten und frittierten Risottobällchen) für 2€ an der Bar kaufen oder die milde Januarbrise auf dem Aussendeck geniessen. Die untergehende Sonne zwischen Festland und der grössten Mittelmeerinsel markierte den perfekten Abschied unseres Aufenthaltes in Sizilien.

Müssten wir jetzt nicht noch die ID kontrollieren?

Im kalabrischen Villa San Giovanni, wo einst Autozüge aus Zürich Altstetten endeten, wurden wir im selben Prozedere wie in Messina wieder von der Fähre an den Bahnhof gebracht. Es scheint, als wäre das Vertrauen der Fahrplaner in die Arbeit des Bahnhofspersonal nicht allzu hoch. Anders lässt es sich nicht erklären, weshalb unser Zug eine Stunde vor Abfahrtszeit in voller Länge auf das grüne Signal wartet.

In Europa unterdessen einmalig: Ein Nachtzug, welcher mit dem Schiff über das Meer trajektiert wird

Uns kam die Wartezeit sehr entgegen. Unsere Wasservorräte neigten sich dem Ende zu und vielleicht wegen der salzigen Meerluft war mein Durst in dieser Nacht besonders hoch. Anders als in der Schweiz, wo auch in kleineren Bahnhöfen zumindest ein Migrolino bis spät in die Nacht offen hat, entdeckten wir in Villa San Giovanni nach ausgedehnter Bahnhofsrunde nichts als ein paar Getränkeautomaten, welche zu unserer Freude auch gekühlte Birra Moretti für einen Euro anboten. Zu unserer Überraschung wurden uns die Schlummertrunke auch ohne vorzeigen der ID anstandslos ausgeschenkt.

Mit genügend Flüssigkeit machten wir uns auf zum Zug, welcher sich nun allmählich füllte. Vor uns liegend jedoch weiterhin ganze 17 Reisestunden auf dem Weg nach Norden. In unserem Abteil eröffneten wir das Buffet an italienischen Antipasti und Salumi, die wir noch vom Einkauf aus Siracusa übrighatten. So romantisch die Vorstellung eines frischen Teller Pasta nun auch wäre, ein Speisewagen wird einem von Trenitalia trotz der langen Reisezeit vergönnt.

Schade sind wir erst auf Niveau A2

Der Speisewagen hätte aber wohl auch gar nicht zum Charme des doch etwas in die Jahre gekommenen Zuges gepasst. An den unzähligen Stationen im tiefsten Süden stiegen immer mehr Leute ein und brachten die altbekannte Italianità auf den Gang des Schlafwagens.

Zu gerne hätten wir uns mit den Leuten auf dem Gang etwas über unsere Ferien unterhalten und gefragt, auf welcher Reise sie dann seien. Dafür reichten aber unsere Erfahrungen von insgesamt drei Semestern Italienischkurs bei weitem nicht aus. So verblieben wir in unserem Abteil und schauten in unserem Laptop die DVD einer bekannten britischen Autosendung

Erst beim Bettfertig machen, wofür wir kurz aus unserem Abteil gehen mussten, damit Schlafwagenbetreuerin Nummer drei seit Siracusa unsere Betten herunterklappen konnte, merkten wir, dass auch jemand aus Winterthur auf der Rückreise vom Besuch bei den Verwandten für die Reise den Nachtzug gewählt hat. Für ein längeres Gespräch war es nun aber etwas zu spät. Nach 11 Stunden Zugfahrt legten wir uns um Mitternacht in Salerno am Fusse des Vesuvs schlafen.

Verspätet können die ja so auch nicht sein

Von Salerno nach Milano braucht der schnellste Zug keine fünf Stunden. Unser Nachtzug nimmt sich für dieselbe Strecke jedoch ganze elf Zeigerumdrehungen Zeit. Für die Reise im Nachtzug ist das natürlich nur begrenzt ein Problem, da in dieser Zeit sowieso geschlafen wurde.

Am nächsten Morgen wachten wir irgendwo in der flachen Emilia Romagna auf. Bauarbeiten verwehrten uns die fahrplanmässige Route durch die Cinque Terre und wir mussten mit einer Umleitung über die unspektakuläre Strecke Vorlieb nehmen. Ein Espresso und ein abgepacktes Cornetto zum Frühstück bewirkten, dass wir aus den Decken hervorkrochen und uns die letzten Stunden der Fahrt in den geräumigeren Liegewagenabteilen mit Kartenspielen beschäftigen mochten.

Langsam bemerkten wir auch, dass wir doch schon eine gewisse Zeit im gleichen Zug sind und eine Veränderung des Raumes und auch der Luftqualität langsam nötig war. Dazu trug auch die Tatsache bei, dass der Intercity Notte mittlerweile oft im Bummelzugtempo unterwegs war und an Kleinstädten wie Fidenza lange herumstand. So erklärt sich auch die lange Fahrzeit und es scheint auch keine Kunst zu sein, den Nachtzug mit so viel Reserven pünktlich um 11:25 in der gigantischen Halle von Milano Centrale zum Stehen zu bringen.

Jetzt ist man dafür so richtig entspannt

Nach fast einem ganzen Tag auf vier Quadratmeter in einem Zug, der sich mit immergleichem Rattern der Schienen die gesamte italienische Küste hochkämpft, waren wir mit unseren Gedanken ganz weit weg vom Alltagstress. Gelassen gab es in der Bar direkt beim Bahnhof noch ein kleines Mittagessen bevor das Italienabenteuer wie so häufig im Tunnel vor Chiasso und erst Recht bei der regnerischen Ausfahrt aus dem Gotthardtunnel in Erstfeld beendet war.

Im Gotthardtunnel gab Austin der Reise einen Daumen hoch

Am Ende erreichten wir mit 20 Minuten Verspätung (Die SBB war Schuld!) den Zürcher Hauptbahnhof, trafen noch einmal auf den Winterthurer vom Nachtzug und waren mittlerweile weit mehr als 24 Stunden unterwegs. In der gleichen Zeit könnte man auch nach Australien fliegen, aber dann gäbe es zuhause sicherlich viel weniger zu erzählen, als von der Reise mit der längsten Zugverbindung der EU.