Achterbahn der Gefühle auf gerader Strecke

Nach der Pflicht folgt die Kür – so erlebe ich meine Reisen in den Norden per Zug jeweils. Am ersten Abend, beladen mit Essen und Getränken, steige ich in Zürich in den Nachtzug ein und holpere durch Deutschland. Am frühen Morgen Kaffee in Hamburg, Gesicht waschen am Brunnen vor dem Bahnhof. Meistens ist es hier stickig schwül und ich freue mich bereits auf den Fahrtwind, den ich spüren werde, wenn der Zug nach Kopenhagen im Bauch der Fähre verschwindet und wir Passagiere an Deck müssen. Eine tolle Abwechslung! Doch bis dahin erscheint mir die ganze Reise nur wie Aufwärmen. In Ferienstimmung komm ich dann in Kopenhagen an: die skandinavische Sprache in meinem Ohr und hier gilt: die obligate Take-Away-Pizza beim Pizzaiolo meines Vertrauens zu holen (die 10 Minuten durch die Altstadt lohnen sich auch mit schwerem Rucksack!), sowie mich mit dänischem Süssgebäck einzudecken, um damit den Påtår-Kaffee in den SJ-Zügen zu begleiten. In den schwedischen Zügen bezahlt man nämlich nicht den Kaffee im Bistro sondern viel mehr den Becher und kann diesen die ganze Fahrt nachfüllen lassen.

Gut gerüstet besteige ich den Zug über den Öresund und denke bei der Überfahrt an den Elch, der angeblich diese Meeresenge mal durchschwommen hat. In Malmö angekommen hüpft mein Herz beim Klang der ersten schwedischen Worte; hier im Süden wird zwar nicht der schönste Dialekt gesprochen, aber nun stellt sich bei mir definitiv dieses seltsame Gefühl von Heimat ein – und mit jedem Kilometer gegen Norden wird dieses Gefühl stärker.  Die Getreidefelder von Südschweden ziehen am Zugfenster vorbei und ich denke an die Landwirtschaft, an Boden und Grund, wie die Menschheit diese Ressource in unterschiedlichster Weise zu nutzen weiss. Denn schon morgen wird der Zug nicht durch Felder sondern nur scheinbar wilde Wälder fahren.

Am späteren Abend folgt die Ankunft in Stockholm. Hier, in der Stadt ist meine Geduld oftmals auf einem zwischenzeitlichen Tiefpunkt. Mich zieht es über den Polarkreis, aber nun muss ich hier doch nochmals in der Sommerschwüle Stockholms auf die Abfahrt des Nachtzuges warten. Sobald dieser einfährt, versammeln sich die Menschen auf dem Perron, viele junge Schwed*innen mit grossen Rucksäcken machen sich auf ins Wanderparadies nach Abisko oder wollen den höchsten Berg – den Kebnekaise – besteigen. Im Liegewagen-Abteil ist es geräumig, das grosse Reisegepäck kann in einem Abstellraum, welcher in jedem Wagen vorhanden ist, bedenkenlos verstaut werden.

Die Betten werden schon bald heruntergeklappt, die Leintücher ausgelegt. In weiser Voraussicht, dass es bald nicht mehr so warm sein wird, nehme ich meinen Innenschlafsack zu mir auf die Pritsche, damit ich ihn bei Bedarf zur Hand habe. Ich schlafe mit dem schönen Gedanken ein, am nächsten Morgen in die kühle Nordluft hinauszutreten.
Irgendwann in der Nacht erwache ich, spähe aus dem Fenster und sehe Licht, das Licht des Nordens. Föhren ziehen dahin, ab und zu eine Moorlandschaft mit Birken. Hochzufrieden schliesse ich wieder meine Augen, eine wohlige Wärme in meinem Herzen.