Eine Reise über die zwei grössten Städte von Mitteleuropa zum Startpunkt einer Wanderung, auf welcher man die Zivilisation so richtig hinter sich lässt.

Wohin wollen die alle?

Schottland gehört zu einem Reiseziel, welches derart weit weg scheint, dass es mit dem Zug nicht schlau zu erreichen ist. Doch obwohl unsere Reise im Jahr 2017 weit vor der Geburt von SimpleTrain lag, konnte ich meine Freunde davon überzeugen, mit der Eisenbahn in den hohen Norden von Grossbritannien zu reisen. Das Ziel der Reise war eine 4-wöchige Wandertour mit Zelt quer durch ganz Schottland.

Sowohl die Preise als auch die Reisezeit konnten dabei recht gut mit dem Flugzeug mithalten. Dank dem Nachtzug von London nach Fort William mitten in die Highlands hatten wir am nächsten Tag genügend Zeit, alle Einkäufe zu tätigen, unsere Sachen richtig zu packen, um nach einer Nacht vor Ort uns auf unsere 370 Kilometer lange Wanderung zu begeben. Für eine derart einmalige und unvergessliche Tour wäre wohl auch kein anderes Reisemittel als der schottische Caledonian Sleeper in Frage gekommen. Doch von Anfang an:

Die erste Etappe auf der langen Reise: Mit dem TGV von Zürich nach Paris

Es zog uns bereits auf den morgendlichen TGV. Die Nachtzüge von London nach Schottland erreicht man zwar auch bei einer Abfahrt am Mittag, doch wir hatten Zeit und wollten nichts anbrennen lassen. Um ein paar Fränkli zu sparen, wechselten ich und mein Kollege ab Basel in den anderen Zugteil, während die anderen vier von Zürich bis Paris durchfuhren. (Ja es gibt teilweise auch unterschiedliche Preise für denselben Zug) Sie vier spielten das erste von unzähligen Tichus auf dieser Reise, während ich meinen Kollegen in einem ultraknappen Yazhee um genau drei Punkte besiegen konnte. Auch vier Jahre später in bleibender Erinnerung waren die unzähligen asiatischen Touristen, welche im Minutentakt durch die Abteiltüren den Wagen wechselten. Ob sie ihre Plätze nicht finden konnten oder dachten, dass ein Prestige-Zug wie der TGV doch irgendwo auch einen richtigen Speisewagen statt das kleine Bistro haben muss, kann ich bis heute nicht sagen.

Un après-midi parisienne

Schon bald waren wir als Gruppe wieder vereint. Der TGV erreichte pünktlich den Gare de Lyon im Süden der Stadt. Da alle Eurostarzüge ab dem Gare du Nord nach London fahren, mussten wir einen Weg durch Paris finden. Das grosszügige Zeitbudget von drei Stunden hätten zwar auch für einen Fussmarsch vorbei am Eiffelturm gereicht, doch Reiseführer Marius entschied sich für die konventionelle Variante.

Der Bahnhofwechsel in Paris ist ein kleines Manko auf der Reise nach London. Anders als in den meisten Städte Europas wurde in Paris nie ein zentraler Hauptbahnhof gebaut. So fahren noch heute die meisten TGV in Kopfbahnhöfe, welche in der ganzen Stadt verteilt liegen. Um zwischen den Bahnhöfen zu wechseln steht deshalb meist ein Transfer mit der Métro oder in unserem Fall mit der Pariser S-Bahn (RER) an. Das ist aber nicht allzu kompliziert. Alles ist gut ausgeschildert und nur 30 Minuten später waren wir schon am Gare du Nord.

Wir hatten nun noch gut 2,5 Stunden Zeit bis zur Abfahrt des Eurostars nach London. Zeit genug, um sich ein Nachmittagsbier in einem der idyllischen Bistrots auf den Pariser Gassen zu gönnen. Wir waren zwar eigentlich auf dem Weg nach Schottland, doch die kurze Abwechslung durch eine ganz andere Kultur kam uns entgegen. Nachdem wir ausgetrunken haben und ich dem Garçon ein für meine Reisebegleitung viel zu hohes Trinkgeld gab, kauften wir im nahgelegenen Discount-Shop «Leader-Price» noch ein paar Snacks für die nächste Etappe und gingen wieder zurück zum Eurostarbahnhof.

Immerhin konnten wir töggelen

Eine Zugfahrt von Paris nach London ist nicht nur wegen dem 50 Kilometer langen Channel-Tunnel eine spezielle Zugfahrt. Die doch recht bürokratischen Zoll- und Sicherheitsvorschriften des Vereinigten Königreiches haben zur Folge, dass alle, die es auf die Insel wagen, erst ihr Gepäck, ihr Ticket und ihre Personalien kontrollieren lassen müssen. Für das Check-in in der zweiten Klasse muss man mindestens 45 Minuten vor Abfahrt erscheinen. Ganz so aufwändig war es dann doch nicht, wir waren schnell durchkontrolliert und das für die Wanderung essenzielle Sackmesser wurde toleriert.

Nach der Kontrolle wartet die Belegschaft des Zuges in der Wartelounge auf den Einstieg. Hier kommt auch bei unserer Reise Flughafenfeeling auf. Doch wir gingen nicht zum Duty-Free-Shop oder an die Departures Lounge, sondern fanden uns schnell am Töggelikasten wieder. Nachdem wohl alle Mitreisenden durch meinen Torschrei kurz aufschreckten, ich das Spiel aber dennoch klar verlor, blieb dem Personal nichts anderes mehr übrig, als die Schleusen für den Zug zu öffnen.

Auch das ist war EU

Beim Tichu hielt es gewisse Mitreisende nicht mehr auf den Sitzen.

Die Fahrt nach London dauert nur gut zwei Stunden und reichte knapp für ein weiteres Tichu und einen Blick auf die riesige Grenzschutzanlage auf der kontinentalen Seite des Channel-Tunnels. Minutenlang brauste unser Zug in stattlichem Tempo den Stacheldrahtzäunen entlang, die zumindest damals noch zwei EU-Länder voneinander trennen sollten.

Im Angesicht dessen stellten wir uns auch auf eine erneute Kontrolle im Londoner Bahnhof St. Pancras ein. Der erste Willkommensgruss der Insel, welche für die nächsten vier Wochen unser Zuhause sein sollte, fiel dann aber eher Gentlemen-Like aus. Wie in einem Film führte der Weg aus dem gesicherten internationalen Bereich durch eine unscheinbare Schiebetüre direkt in den abendlichen Stossverkehr der gigantischen Stadt London. Da schauten wir sechs mit unseren riesigen Wanderrucksäcken und den hohen Stiefel etwas fehl am Platz aus.

Ohne Schonfrist landen Zugreisende nach Grossbritannien mitten im Londoner Berufsverkehr

Auch in der englischen Hauptstadt planten wir nochmals drei Stunden ein. Mittlerweile war Zeit für ein Abendessen in einem Pub, welches aber aufgrund der Qualität nicht wirklich nennenswert wäre. Es sollten aber bessere Lokale in den nächsten Wochen folgen. Mit dem grossen Gepäck blieb unser Aktionsradius auf der etwa einen Kilometer langen Strasse zwischen den beiden Bahnhöfen St. Pancras und Euston.

An der Bar war man schon in Schottland

Um kurz nach 21 Uhr ging es nach einem trotz des vielen Zugfahrens abwechslungsreichen Tag in den letzten Zug des Tages. Bereits auf der Homepage versprach der Caledonian Sleeper, einer der beiden verbliebenen Nachtzüge von Grossbritannien, grossen Komfort. Wir wurden auch nicht enttäuscht als wir unsere Kabinen betraten. Die breiten und langen Betten schrien bereits nach einer angenehmen Nacht. Wir hätten auch für einmal früh ins Bett gehen können, da die vielen Eindrücke doch etwas Müde machten, doch die Krönung der Reise liess uns noch etwas länger wachbleiben.

Der Speisewagen des Nachtzuges wird von einem schottischen Team betrieben. Hätten wir nicht schon zu Abend gegessen, wäre es nun Zeit für den ersten Haggis gewesen. Doch dafür waren wir doch etwas zu voll. Wir nahmen in Loungebereich platz und versuchten ein bisschen kompetent zu wirken, als wir aus dem reichlichen Angebot einen schottischen Whisky bestellten.

Mit einem Glas des schottischen Nationalbrannt in der Hand durch das nächtliche England zu brausen und zu wissen, dass man die ganzen Ferien noch vor sich hat, ist bis heute einer der schönsten Reisemomente. Das hätten die orange Konkurrenz in der Luft ganz sicher nicht so stilvoll hingebracht.

Und plötzlich sind die Leute weg

In den alten Nachtzügen konnte man sogar noch die Fenster öffnen

Auch nicht so schön wären die ersten Eindrücke in Schottland gewesen. Wach wurden wir inmitten der schottischen Einöde. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel auf die goldfarbenen Hügel und unser Zug drehte seine Kurven auf der malerischen West-Highland-Line dem Ziel Fort William entgegen.

Bereits vier Monate zuvor habe ich für unsere Reisegruppe eine Portion Porridge bei der Buchung hinzubestellt. Hätte ich gewusst, dass es die nächste Zeit auf der Wanderung noch mehr als genug Haferbrei zum Frühstück geben würde, hätte ich mich wohl eher für das Full-english Breakfast entschieden.

Die Reise endete an den offenen Fenster der damals noch eingesetzten Schlafwagen. Der Wind in den Haaren und der Duft der Natur in der Nase machen Vorfreude auf die Wanderferien und bei der Ankunft in Fort William konnten wir es kaum erwarten, noch mehr von Schottland sehen zu können. Für uns standen noch 370 Kilometer Wanderung an und wir wussten noch gar nicht, wie wunderbar diese Reise noch weitergehen wird. Darüber kann ich aber nicht auch noch schreiben, schliesslich heissen wir ja nicht SimpleTrail.