Eine Reise, welche meine Mutter schon häufig gebucht hat, nur nie für sich selber

Das habe ich früher immer verkauft

Bevor ich auf die Welt kam, arbeitete meine Mutter am SBB-Schalter am Zürcher Hauptbahnhof. In einer Zeit lange vor SimpleTrain, als man am Schalter noch jeden noch so grossen Wunsch wie Reisen nach Marokko oder Moskau oder auch kleinere Reisen wie nach E-99. So hat zumindest einst ein deutscher Tourist das Dorf Egg am Pfannenstiel bezeichnet. Besonders im Sommer beliebt war der damalige Autozug «Freccia della Puglia» von Zürich über Bari nach Lecce, ganz im Absatz des italienischen Stiefels.

Ein Zug, den es seit gut 15 Jahren nicht mehr gibt, über welchen man aber auch unzählige Geschichten erzählten könnte. Laut meiner Mutter gab es bereits auf den Perrons absurde Szenen, wie die Abteile mit hunderten Haushaltsgegenständen, Taschen und Kartonschachteln vollgepackt wurden. Was zu eng für die Türen war, wurde notfalls durch die offenen Fenster in den Zug nach Süden verfrachtet.

Wie die Stimmung im Zug war, können meine Eltern aber nicht berichten. Mit dem Zug bis nach Lecce sind sie bis ins Jahr 2019 nie gereist. Dann habe ich sie endlich dazu gebracht, einmal in Apulien vorbeizuschauen.

Entspannt am Stau vorbei

Der Nachtzug von Zürich nach Lecce, welcher einmal in der Woche vor allem durch die vielen Gastarbeiter genutzt wurde, gibt es leider nicht mehr. Immer noch möglich ist aber eine Reise durch die Nacht nach Süditalien. Drei Nachtverbindungen täglich, zwei ab Milano und eine ab Turin verbinden Norditalien mit der Adriaküste. Reisende aus der Schweiz können mit den letzten Eurocitys durch die Neat fahren und in Milano zusteigen.

Beim Einsteigen war der Zug noch leer, das sah später anders aus

Es war Gründonnerstag, als wir uns auf nach Süditalien machten. Nachmittags um fünf Uhr wäre auf der Gotthardautobahn der wohl ungünstigste Zeitpunkt im Jahr, um ins Tessin und das dahinterliegende Italien zu reisen. Auch auf der Schiene war man nicht alleine unterwegs. Mit etwas Planung und einer Verbindung mit einem Extrazug ab Arth-Goldau konnten wir aber sogar in einem Viererabteil reisen, welches anders als die Autos in weniger als einer Stunde schon in Bellinzona ankam.

Da wir zu spät buchten, waren bereits einige Nachtzüge ausgebucht und wir mussten in Bellinzona, Lugano, Milano und Piacenza umsteigen. In der Hauptreisezeit wäre für das nächste Mal eine frühere Buchung sicherlich von Vorteil, dann hätte es auch noch einen Platz im direkten Nachtzug aus Milano gegeben. Immerhin klappten alle Anschlüsse und um kurz vor 11 fuhr im verlassenen Bahnhof der Kleinstadt Piacenza ein Nachtzug mit acht Wagen und dem Zielbahnhof Lecce ein.

Unser Hotel für die Karfreitagsnacht

Grosses Empfangskomitee

Nach einer Nacht im Schlafwagen gibt es nichts schöneres, als wenn der erste Blick des Tages bis zum Meer reicht. Dieser wunderbare Moment gab es auch an diesem Karfreitagmorgen, als Autos wohl immer noch zu tausenden vor dem Gotthardloch standen.

Unser Nachtzug fuhr auch durch Apuliens Hauptstadt Bari

Wir waren jedenfalls bereits kurz vor neun im süditalienischen Lecce. Während für den Nachtzug aus Milano das Gleis 1 direkt am Empfangsgebäude freigehalten wurde, mussten wir mit Gleis 2 vorlieb nehmen. Es schien als wären wir zudem die einzigen Passagiere ohne Kofferschleppdienst am Bahnhof mit der engen Unterführung ohne Lift oder Rampen. Viele Familien erwarteten an diesem Morgen ihre Verwandten aus Norditalien. Wir waren gefühlt die einzigen Touristen und machten uns auf den Weg ins Appartement.

Meine Mutter dachte sich dabei, dass es sich bereits jetzt lohnte, endlich auch einmal dahin zu reisen, wo sie jahrelang Tickets verkauft hatte. Dies erzählte sie zugleich dem Besitzer im B’n’B, welcher ebenfalls Bekannte in der Schweiz hatte. Als er merkte, dass wir noch nichts gegessen haben, gab er uns wie selbstverständlich Gutscheine für ein Colazione im Café um die Ecke und die Ferien konnten beginnen, nachdem wir erst gerade aufgestanden sind.