Overtourism, Partyleichen oder „es hat auch seine schönen Ecken“. Viel wird über Mallorca gesprochen, die Meinungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Grund genug, sich selbst ein Bild zu machen.

Über Mallorca hat wohl jeder seine eigene Meinung und die können recht unterschiedlich sein. Grob kann man die Meinungen aber in drei Sparten eingliedern:

  • Genialer Ort zum Party machen und Schlager zu hören

  • Es hat neben alldem auch noch seine schönen Ecken

  • Total überlaufene Insel mit primitivem Partytourismus

Ich würde mich ganz klar der dritten Kategorie zuordnen und habe bis vor kurzem nicht mal im Entferntesten daran gedacht, Ferien in Malle zu machen. Ein paar Gläser Alkohol und das Schlagerzelt einer grösseren Zürcher Oberländer Chilbi haben die Meinung dann aber geändert. Nicht etwa weil ich plötzlich zum Fan von Schlager wurde und auch mal im Bierkönig rumgrölen und Sangria aus Eimern trinken wollte. Sondern einfach um mal selbst zu sehen, wie diese Insel über die so häufig gesprochen wird, tatsächlich ist.

Es gibt schlimmere Orte für Sommerferien als die Cala Gat

Standesgemässe Anreise mit dem Zug

Auch wenn Mallorca eines der gängigsten Reiseziele ist, war ich schon lange nicht mehr so aufgeregt auf das, was mich erwartet. Die Reise startete wie gewohnt am Zürcher Hauptbahnhof. Das Risiko, durch die Anreise mit dem Zug & Schiff das komplette Mallorca-Erlebnis zu verpassen wirkte gering und es gibt auch auf dem Landweg gute Verbindungen auf die Lieblingsinsel der Deutschen. Von Zürich geht es via Genf & Lyon zum Hafen Toulons von wo aus im Hochsommer Fähren nach Alcudia im Norden der Insel ablegen. Die Reisezeit von knapp 24 Stunden ist im Vergleich zu Top-Fährreisezielen wie Sardinien oder Albanien recht vergleichbar. Und im Vergleich zum Schlagersong „Dicht in den Flieger“ hatten wir umso mehr Zeit, um uns mit Sangria und Spotify auf die Insel einzustimmen.

Das Feriengefühl kam auf der Anreise dann tatsächlich durch die unbeschreibliche Fähren-Atmosphäre schon weit vor der Ankunft auf. Nach der schnellen Fahrt durch Frankreich und einem kurzen Spaziergang durch die Altstadt konnten wir die Kabinen auf dem Schiff beziehen und hatten zugleich die grosse Entschleunigung im Reisepreis dabei.

Ob es nun am Pool (abgesperrt) oder an den Liegestühlen (verschlossen) oder dem (wirklich schönen) Sonnenuntergang lag, kann man nicht genau sagen. Die Langsamkeit, die Weite des Meers und die allgemein vorherrschende Ferienstimmung der Passagiere, gemischt mit einem Schiff das nicht den geringsten Schimmer von Perfektion ausbreitete, liess die eigenen Probleme sehr schnell vergessen. Wir genossen nach einer ruhigen Nacht den Sonnenaufgang an der hügeligen Nordküste Mallorcas. Wir sahen wie das Schiff den kleinen Hafen von Alcudia in der Morgenstimmung anvisierte und hatten kurz den Eindruck, dass wir zusammen mit den Schiffspassagieren auf dem Weg in einen „Hidden Gem“ Europas seien und jetzt gar nicht eine Insel betreten, welche jährlich 50x mehr Leute vom Festland anlockt als sie selbst Einwohner:innen hat

Sehr schnell wurde es Deutsch

Allmählich merkten wir aber dann doch, dass wir schon im richtigen Mallorca angekommen sind. Der Bus vom Hafen Alcudias in Richtung Cala Ratjada – einem Touristendorf an der Ostküste füllte sich immer mehr mit Touris und die Landschaft wurde nicht mehr von reizenden Hügeln übersäht, sondern von grossen Hotelresorts.

Am Ankunftstag waren wir dann auch noch einigermassen überrascht, dass sehr viele Leute uns direkt auf Deutsch ansprachen. Dadurch und auch wegen der Palette an Deutschlandtrikots in allen Farben und Rückennummern die überall zu sehen waren merkten wir, dass wir doch im „17. Bundesland Deutschlands“ angekommen waren. Es war für uns, die gerne das Authentische und Fremdländische an einem Reiseziel suchen interessant wie anregend, wie dass ein Ort in der Ferne derart von einer anderen Kultur beeinflusst werden kann.

Komplett verwerflich fanden wir Cala Ratjada und die Idee, hier in die Ferien zu gehen aber auch nicht. Die Strände und Buchten sind einladend, das Meer sauber und warm und es gab ein breites Angebot an Shopping, Restaurants, Bars und Hotelresorts. All dies auch bei nicht zu heissen aber sonnigen 30°C. Ist für uns nun also auch bald Malle 1x im Jahr?

Beim Spaziergang durch die Altstadt konnten wir nicht ahnen, wie der Abend noch verlaufen wird.

Der Ballermann ist eine eigene Welt

Nach angenehmen Sommertagen in Cala Ratjada stand am letzten Abend dann noch die grosse Reise nach Palma de Mallorca und der Besuch des Ballermanns bei El Arenal auf dem Programm. Ohne Hotelnacht und dadurch mit der Verpflichtung, bis zum Check-in der Fähre nach Barcelona am kommenden Morgen durchmachen zu müssen. Party Hard also! Wobei es am Anfang ganz nach einem Ferientag nach meinem Geschmack aussah.

Der Transfers mit dem (auf Google Maps nur schwer auffindbaren) mallorquinischen Regionalzug in die Hauptstadt Palma, die hervorragenden Tapas in einer gemütlichen Bar und die aufkommende Stimmung der Einheimischen beim parallellaufenden Tennismatch Nadal-Djokovic liess einem tatsächlich auch kurz das Gefühl geben, dass man hier in einem beschaulichen spanischen Städtchen sei und den Geheimtipp für die Ferien gefunden zu haben.

Der Schein trügte dann aber gewaltig. Nach einem Bummel durch Palma de Mallorca machten wir uns auf zum Highlight der Reise: Einer Freinacht am Ballermann. Das Wort Ballermann stammt vom spanischen „balneario“ ab und bedeutet ursprünglich „Heilbad“. Auch wer den Ballermann nur vom Hörensagen kennt, weiss bestens Bescheid, dass eine grosse Portion Sarkasmus bei der Übersetzung dabei gewesen sein muss. Es gibt total 12 solcher Balnearios an der 4.5km langen Playa de Palma. Die Abschnitte 5-8 sind die Epizentren des konzentrierten Partytourismus, welche direkt per Stadtbus mit der Innenstadt verbunden sind – wohl nicht weil die Lokalbevölkerung das durchaus üppige Feierangebot regelmässig in Anspruch nehmen würde.

Der andere Film

Über den Abend vor Ort könnte man viel schreiben. Über die laute Partymusik mit schlechtem Text, über das Schnitzel mit normalen Kartoffeln im Restaurant „Deutsches Eck“ oder über die Tatsache, dass es auch einen holländischen Ballermann in Gehdistanz gibt. Die dabei entstandenen Bilder lassen aber genügend Worte sprechen.

Wir waren froh, nach einem Morgensnack bei einer niederländischen Imbissbude mit dem ersten Bus zurück nach Palma fahren zu können. Wir holen unser Gepäck aus dem Schliessfach und machten uns auf zum Hafen. Die Fähre mit ihrem wiederum von Hektik befreitem Charme und dieses Mal sogar verfügbaren Liegestühlen liessen die Partynacht bestens verdauen. Von Dauerbeschallung, Überreizung und der Erkenntnis, dass Ballermann definitiv nichts für uns ist, konnten wir uns auf der Überfahrt ans Festland bestens erholen.

Nach der intensiven Nacht wieder gemütliches Dümpeln auf der Fähre

Jetzt noch mit dem „Pau Casals“ nach Hause

In Barcelona machten wir noch 2 Tage halt. Bis ins Jahr 2013 hätte es eine mir viel liebere Alternative gegeben. Bis dahin hätten wir vom Hafen aus direkten Anschluss an den Euronight Pau Casals gehabt. Der Nachtzug welcher jeden Abend Barcelona mit Zürich verband war seiner Zeit nach dem Weltbekannten Cellisten benannt worden. So wäre die Reise vom Club am Ballermann bis nach Zürich mit nur 1x Umsteigen möglich gewesen und hätte nur 24 Stunden gedauert.  Die Verbindung von der Limmatstadt an die Mittelmeermetropole war wohl eine der romantischsten Nachtzugverbindungen, welche es in der Schweiz je gab. Umso mehr wird seine Absenz derzeit vermisst und auch wir mussten mit Tagesverbindungen vorlieb nehmen. Es gibt aber Pläne über die Wiederaufnahme des Verkehrs

So konnten wir aber wenigstens die wirklich schwer benötigte Dusche im Hotel geniessen und mit ganz vielen anderen Touris am nächsten Tag über die Rambla in Barcelona spazieren.

Gemäss SBB Plänen sollen bald wieder Züge nach Barcelona an SBB Bahnhöfen angeschrieben sein

Auf dem Rückweg mit dem spanischen Hochgeschwindigkeitszug erblickten wir dann auch das Gegenstück zum Ballermann. Die Bahnstrecke führt zwischen Narbonne und Montpellier spektakulär durch die Seenlandschaft oder auch direkt am Meer entlang. Der kilometerlange Naturstrand zwischen Agde & Sète ist von den natürlichen Begebenheiten her ziemlich vergleichbar mit der Playa de Palma. Nur sind die Flamingos hier nicht aufblasbare Schwimmhilfen sondern richtige Vögel und anstelle von Hotelkästen und Clubs hat die Natur hier noch das sagen. Ich werde so schnell kaum nach Mallorca zurückkehren, muss aber zugeben, dass ich im Nachhinein nach Verbindungen auf Mallorcas kleine Schwester Menorca gesucht habe. Die soll von der Landschaft her recht gleich sein, aber wurde vom Partytourismus bislang verschont.